Haiti: Chemen Lavi Miyò (CLM) – Der Weg in ein besseres Leben

HERAUSFORDERUNGEN

Haiti ist das ärmste Land des lateinamerikanischen Kontinents. Fast 60 Prozent der haitianischen Bevölkerung lebt unter der nationalen Armutsgrenze von 2,41 US-Dollar am Tag und rund ein Viertel lebt unter der nationalen extremen Armutsgrenze von 1,23 US-Dollar am Tag. Diese Menschen gelten als extrem arm („Ultra-Poor“): Sie können sich häufig keine einzige richtige Mahlzeit am Tag leisten, sie leben in Hütten, die keinen wirklichen Schutz bieten und ihre Gesundheit ist durch die mangelhafte Ernährung und den fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser dauerhaft gefährdet. Viele von ihnen haben keine Toilette und müssen ihren Bedürfnissen auf den umliegenden Feldern nachkommen, wodurch sie sowohl sich selbst als auch andere Menschen in ihren Gemeinden gefährlichen Krankheitskeimen aussetzen. Ein Viertel der haitianischen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren muss arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Die Familien stehen aber nicht nur vor einer Vielzahl an wirtschaftlichen Herausforderungen, sie leben oft auch isoliert und ohne Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Viele der Betroffenen sind Frauen, die weder über Geld, noch über Land oder das nötige Wissen verfügen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder aufzubringen. In ländlichen Regionen wie dem Zentraldepartment, in denen es an Arbeitsmöglichkeiten fehlt, ist eine Selbstständigkeit für diese Frauen der einzige Weg aus der Armut. Doch ohne Unterstützung von außen sind sie nicht in der Lage, sich eine dauerhafte Existenzgrundlage aufbauen. Seit Mitte 2018 hat sich die allgemeine Situation im Land noch einmal stark verschlechtert: Erdbeben, Überschwemmungen, die hohe Inflation und zivile Unruhen treffen die arme Bevölkerung besonders stark.

DIE METHODE

Unsere Ultra-Poor-Projekte basieren auf dem sogenannten „Graduierungsansatz“, der von einer NGO in Bangladesch entwickelt wurde. Graduierung bedeutet, dass die Teilnehmer/innen nach der Projektdurchführung bestimmte Kriterien erfüllen mit denen belegt wird, dass sie sich eine nachhaltige wirtschaftliche Existenzgrundlage geschaffen und ihre Lebensumstände sich nachweislich verbessert haben. Unser haitianischer Partner, die Fonkoze Stiftung, nutzt diesen Ansatz schon seit 12 Jahren erfolgreich in seinem Programm „CLM (Chemen Lavi Miyò) – Der Weg in ein besseres Leben“. Studien zu den Ergebnissen dieses Projektmodells in verschiedenen Ländern haben ergeben, dass es sich hierbei um eine äußerst wirkungsvolle Methode zur nachhaltigen Beseitigung von extremer Armut handelt.

PROJEKTZIELE

Ziel aller Projekte ist es, der ländlichen Bevölkerung eine Perspektive für die Zukunft zu bieten. Die Familien werden sich eine nachhaltige Existenzgrundlage aufbauen, ihre Gesundheitssituation verbessern und sie werden am Ende der Projekte über eine stabile Hütte und eine Latrine verfügen.

Durch Schulungen und die wöchentlichen Betreuungsbesuche verbessern die Begünstigten ihre Kenntnisse in den Bereichen Viehzucht, Gemüseanbau, Umgang mit Geld, Organisation ihrer kleinen Unternehmen und verschiedener anderer Lebenskompetenzen. Sie haben konkrete Zukunftspläne und nehmen sich wieder als Menschen mit Fähigkeiten wahr, die aus eigener Kraft etwas erreichen können.

Ihre Lebenssituation wird sich durch das Projekt maßgeblich verbessern und sie können einen ersten Schritt aus der extremen Armut gehen. Der ganzheitliche Ansatz des Projektes leistet einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur Frauenförderung im Zentraldepartment Haitis.

AKTIVITÄTEN

Auswahl der Familien

In den Zielgemeinden werden alle Haushalte mit Hilfe einer sogenannten Armutsskala bewertet und die ärmsten Haushalte ausgewählt. In den ausgewählten Familien sind es Frauen, die die direkten Begünstigten sind, es sei denn ein alleinstehender Mann mit körperlicher Behinderung und Kindern lebt unter ähnlich schlechten Bedingungen.

Einkommensgenerierende Aktivitäten und begleitende Schulungen

Die Projekte bieten verschiedene Kombinationen von Schweine-, Ziegen- und Geflügelhaltung, Kleinhandel und Gemüseanbau an. Die Teilnehmer/innen wählen jeweils zwei Aktivitäten aus, denen sie gerne nachkommen möchten und können. Es wird immer möglichst eine Aktivität mit kurzfristigem und eine mit längerfristigem Ertrag kombiniert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Kombination langfristig die Erfolgschancen steigert.

Die notwendigen Kenntnisse zur erfolgreichen Umsetzung der Aktivitäten werden in Schulungen zu Themen wie Tierhaltung, Verkaufspraktiken, einfacher Buchhaltung, Anbautechniken und Schädlingsbekämpfung vermittelt. Außerdem werden die sozialen Kompetenzen der Teilnehmer/innen gestärkt, damit sie zukünftig aktive Mitglieder der Gemeinde werden. Dies ist sehr wichtig, da viele der Begünstigten zuvor aufgrund ihrer extremen Armut sehr isoliert gelebt haben. Die Schulungen werden alle drei Monate für jeweils drei Tage wiederholt und das Erlernte aufgefrischt und vertieft.

Wöchentliche Besuche und Coachings

Die persönliche Betreuung der Familien durch die Mitarbeiter/innen von Fonkoze ist ein sehr wichtiger Projektbestandteil. Während der wöchentlichen Besuche werden Probleme besprochen und es wird gemeinsam nach Lösungen gesucht. Die Besuche bieten die Möglichkeit für den Aufbau von Vertrauen, für Ermutigungen und sind ein kontinuierliches Training. Insgesamt werden zwölf Themen behandelt, wie beispielsweise Hygienemaßnahmen und die Bedeutung von sauberem Trinkwasser sowie einer sauberen Toilette für die Gesundheit der Familie. Weiterhin werden kurze Lese- und Schreibübungen gemacht und über die Bedeutung von Spareinlagen gesprochen. Auch der Zustand der Tiere und des Gemüseanbaus werden überprüft.

Fördergeld für 24 Wochen

Da die einkommensgenerierenden Aktivitäten anfangs nur wenig Ertrag bringen, bekommen die Teilnehmer/innen in den ersten Monaten ein wöchentliches Fördergeld in Höhe von 350 Gourdes (ca. 3,40 Euro). Die Familien brauchen diese Unterstützung als „kleine Atempause“ im täglichen Überlebenskampf. Die finanzielle Unterstützung soll außerdem verhindern, dass die Begünstigten aus Not und Hunger das Vieh verkaufen oder selbst verzehren. Über den Einsatz des Geldes wird wöchentlich mit den persönlichen Betreuern gesprochen und dabei der Fokus auf Nahrung und die Schulbildung der Kinder gelegt. Damit die Begünstigten lernen zu sparen, wird für sie ein Sparbuch eingerichtet oder sie werden angeregt, Mitglied einer lokalen Spargruppe zu werden.

Aufbau von lokalen Strukturen

Die Zusammenarbeit mit den Gemeinden ist für den Projekterfolg von großer Bedeutung. Mit der Gründung von sogenannten „Community Development Committees“ (CDCs) durch engagierte Gemeindemitglieder sollen die Teilnehmer/innen der Projekte jederzeit Ansprechpartner bei auftauchenden Problemen haben und langsam in die Gemeindeprozesse reintegriert werden. Die CDC-Mitglieder bekommen Schulungen zu Konfliktmanagement sowie Nutztierhaltung und sie lernen, wie sie kleine Projekte zur Dorfverbesserung durchführen können. Von diesen Maßnahmen profitiert langfristig nicht nur die Zielgruppe, sondern die gesamte Gemeinde.

Da nicht alle Begünstigten die Möglichkeit haben, zur Bankzweigstelle nach Thomonde zu gehen, werden innerhalb der ersten Monate des Projekts in bestimmten Nachbarschaften „Village Savings and Loans Associations“ (VSLAs) etabliert. Diese selbstorganisierten, dörflichen Spar- und Kreditpartnerschaften bieten ihren Mitgliedern eine einfache Möglichkeit, Sparguthaben anzulegen und Zugang zu Mikrokrediten zu erhalten.

Gesundheitsversorgung

Durch die Zusammenarbeit mit „Zanmi Lasante“, Haitis größter NGO im Bereich  Gesundheitsdienstleistungen, erhalten die Familien kostenlose Untersuchungen und Präventivmedizin in der nächstgelegenen Gesundheitsstation. Alle Kinder sowie schwangere und stillende Frauen werden auf Mangelernährung geprüft und falls nötig wird die benötigte medizinische Behandlung organisiert.

Die Begünstigten werden bei Bedarf in die nächstgelegene Gesundheitsstation oder das Krankenhaus begleitet, da sie sich dort im Normalfall nicht auskennen. Hierfür wird mit einer Gesundheitsberaterin zusammengearbeitet, die geprüfte Krankenschwester und gleichzeitig Patientenfürsprecherin ist. Sie klärt die Frauen auch über Verhütung auf.

Verbesserung der Trinkwasser-, Wohn- und Sanitärsituation

Jede Familie erhält einen Wasserfilter und einen verschließbaren Wasserbehälter, um einen permanenten Zugang zu sauberem Trinkwasser sicherzustellen. Die Wasserqualität wird wöchentlich von den Betreuerinnen und Betreuern überprüft. Für den Bau einer Latrine sowie für die Renovierung oder den Neubau einer einfachen, wetterfesten Hütte werden Baumaterialien zur Verfügung gestellt. Hilfestellung beim Bau erhalten die Familien von örtlichen Handwerkern.